“Wenn ich nicht zu Herrn Wieler stehen würde, säße er hier nicht”

Hat der RKI-Chef es sich mit dem Gesundheitsminister verscherzt? Der Grund für den Groll: Das RKI setzte noch vor dem Corona-Gipfel eine Stellungnahme ab, in der es “maximale Kontaktbeschränkungen” forderte.

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RKI-Chef Lothar Wieler soll unter Druck stehen. Der Grund: Das Robert-Koch-Institut hatte am Dienstag kurz vor Beginn der Ministerpräsidentenkonferenz eine Stellungnahme veröffentlicht, die schärfere Corona-Maßnahmen vorsah, als sie Bund und Länder planten und später beschlossen. Noch während des Corona-Gipfels gab das Institut zudem einen Tweet zu seinen Empfehlungen ab. Das hatte für Kritik gesorgt. Linken-Chef Dietmar Bartsch etwa sprach von einem “kommunikativen Desaster”. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte am Mittwoch auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wieler, er sei über die Empfehlungen des RKI vorab nicht informiert gewesen. Hier müsse “Abstimmung optimiert” werden. Das RKI hatte in seiner Stellungnahme für sofortige “maximale Kontaktbeschränkungen” plädiert, solche vereinbarten Bund und Länder dann aber für spätestens 28. Dezember. 

Konflikt heruntergespielt?

Die beiden Gesundheitsexperten dimmten den Konflikt aber dann herunter. Lauterbach verwies darauf, dass er auf wissenschaftlichen Rat Wert lege und es in seinem Bereich keine “Zensur” gebe. Zugleich bekannte sich der Minister auf der gemeinsamen Presskonferenz zu seinem Behördenchef. Würde er nicht mehr zu diesem stehen, “dann säße er nicht hier”, sagte Lauterbach. Man habe das gleiche Ziel und wolle gemeinsam nach vorne schauen.

“Wir machen seit Jahren Empfehlungen”, ergänzte der RKI-Chef. “Die werden wir auch weiter machen.” Die Umsetzung von Maßnahmen sei dann aber Sache der Politik. 

Wieler rechtfertigte sein Vorgehen auch damit, dass die Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung zur Omikron-Variante vom Sonntag keine konkreten Handlungsempfehlungen enthalten habe. Solche habe er dann am Dienstag vorgelegt. Wieler selbst gehört dem Expertenrat an.

Die Kritik an dem Vorgehen der Regierung nahm unterdessen nicht ab.  Auf Twitter trendete auch am Mittwochabend noch der Hashtag #DankeWieler. Viele der Nutzer, darunter auch medizinisches Personal, stellten sich auf die Seite des RKI-Chefs. “Nein, ich bin stinksauer! Auf die Regierung und auf Karl. Wie könnt Ihr den Herrn Wieler so angehen, wo Ihr wisst, dass er recht hat?”, schrieb etwa ein Nutzer. Prof.Wieler ist das, was man unter den verantwortlichen Politikern der MPK, KMK und Bundesregierung seit Herbst 2020 vergeblich sucht, ein Ehrenman”, tweetete ein anderer.

“Kassandra in der Pandemie”

Die “Berliner Morgenpost” schrieb: “Wieler machte sich für Maßnahmen stark, von denen das RKI überzeugt war und die Lauterbach aber gerade erst politisch ausgeschlossen hatte. Das gespaltene Votum irritiert, weil Lauterbachs Autorität beschädigt wird und sich Wielers weiteres Schicksal auf tragische Weise abzeichnet: als Kassandra in der Pandemie.” 

Die “Magdeburger Volksstimme” wertete den Konflikt so: “Die Ampel möchte vor dem Fest den kleinsten Hauch des Anscheins von Lockdown-ähnlichen Maßnahmen um jeden Preis vermeiden. Nach Weihnachten kann und wird es ziemlich sicher doch rigide werden. Diese Botschaft versuchte das RKI im direkten Vorfeld der Corona-Beratungen zu platzieren. Der Gesundheitsminister selbst schließt weitere Verschärfungen nicht mehr aus – er sagt es nur weit weniger laut, siehe Ampel-Zwänge. Dass er RKI-Chef Wieler weiter offensiv einbindet, ist gut – und ein echter Spagat.”

Die “Berliner Zeitung” analysierte: “Man habe das gleiche Ziel, versicherte Wieler und Lauterbach erklärte, dass man gemeinsam nach vorne schauen wolle. Das sagen Politiker immer, wenn die Aufarbeitung zu schmerzlich oder zu gefährlich wäre. Es ist schon so: Das Amt verändert den Menschen mehr als der Mensch das Amt. Wir alle werden in den nächsten Monaten gemeinsam herausfinden, was das für Karl Lauterbach und die Bewältigung der Pandemie bedeuten wird.”

Die “Bild” berichtete zudem, dass Lauterbach seiner Wut am Dienstag intern mehrfach Luft gemacht haben soll. Er habe sich selbst dazu zwingen müssen, Wieler öffentlich “die Freiheit der Wissenschaft” zuzugestehen, schreibt die Zeitung. Der Minister, so wird berichtet, fühle sich: “Verarscht”.

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