Dauerbeschuss auf Metropolen – wer kontrolliert Cherson? “Wollen uns alle vernichten”

Verwirrung um die Großstadt Cherson: Russland behauptet, die Stadt eingenommen zu haben. Die Ukraine dementiert. Nun hat der britische Geheimdienst sich geäußert.

Foto-Serie mit 34 Bildern

In der umkämpften Stadt Cherson am Schwarzen Meer ist die militärische Lage nach Angaben des britischen Geheimdienstes unklar. Einige russische Truppen seien in die Stadt vorgerückt, heißt es in einem aktuellen Lagebericht.

Das russische Verteidigungsministerium hatte am Mittwoch erklärt, Cherson sei eingenommen. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte jedoch, die Stadt am Schwarzen Meer werde weiterhin verteidigt. Am späten Mittwochabend erklärte der Bürgermeiser Igor Kolychajew, russische Truppen seien in den Straßen der Stadt und in das Ratsgebäude eingedrungen.

“Sehr gefährlich”

Zuvor war berichtet worden, dass russische Truppen die Stadt eingenommen hätten. Regionalverwaltungschef Gennady Lakhuta schrieb in der Nacht zum Donnerstag im Mitteilungsdienst Telegram, russische “Besatzer” seien in allen Stadtteilen und “sehr gefährlich”. Cherson wäre die erste Großstadt, die Russland seit dem Einmarsch in die Ukraine vor einer Woche erobert hätte. Die russische Armee hatte die Einnahme von Cherson bereits am Mittwochmorgen gemeldet.

Chersons Bürgermeister Igor Kolychajew schrieb in einer offensichtlichen Anspielung auf russische Soldaten auf Facebook, er habe ein Gespräch mit “bewaffneten Gästen” geführt. Dabei habe er “gezeigt, dass wir nicht aggressiv sind, an der Sicherung der Stadt arbeiten und versuchen, mit den Folgen der Invasion fertigzuwerden”. Er habe den Russen “keine Versprechungen gemacht” und sie “aufgefordert, nicht auf Menschen zu schießen”.

Kolychajew rief eine Ausgangssperre aus und verhängte Beschränkungen über den Fahrzeugverkehr. “Bis jetzt läuft alles gut. Die Flagge, die über uns weht, ist die ukrainische. Und damit das so bleibt, müssen diese Forderungen respektiert werden”, schrieb er. Der Bürgermeister der 290.000-Einwohner-Stadt berichtete von “enormen Schwierigkeiten, die Toten zu bergen und zu begraben” sowie bei der Versorgung mit Essen und Medikamenten.

Panzer auf den Straßen von Cherson: Die ukrainische Stadt ist Berichten zufolge in die Hände des russischen Militärs gefallen. (Quelle: Reuters/Third Party )

Auch Hafenstadt Mariupol unter Beschuss, Tote nahe Charkiw

Auch ein Angriff auf die Hafenstadt Mariupol läuft. “Heute war der schwierigste und grausamste Tag der sieben Tage des Krieges”, sagte Mariupols Bürgermeister Wadim Boitschenko in einem auf Telegram veröffentlichten Video. “Heute wollen sie uns einfach alle vernichten”. Auch Wohngebäude würden von der russischen Armee beschossen. Wichtige Infrastruktur sei beschädigt: “Wir sind wieder ohne Licht, ohne Wasser, ohne Heizung”, schilderte er.

Den Behörden zufolge sind in Mariupol bei Luftangriffen mittlerweile mehr als 130 Menschen verletzt worden. Die Ukraine macht Russland dafür verantwortlich. Die Angaben ließen sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen. Mariupol liegt nahe der sogenannten Kontaktlinie zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischer Armee im Verwaltungsbezirk Donezk. Die Stadt hat strategisch große Bedeutung. 

In der Nacht gab es zudem Berichte, von einem möglicherweise bevorstehenden Angriff auf die drittgrößte Stadt des Landes – Odessa. Auch in der Hauptstadt Kiew kam es Augenzeugen zufolge zu mehreren Explosionen.

Wohnhaus in Isjum laut Ukraine getroffen

In der ostukrainischen Stadt Isjum bei Charkiw sind nach Angaben örtlicher Behörden bei einem Luftangriff acht Menschen getötet worden, darunter zwei Kinder. Medien zufolge war bei der Attacke in der Nacht zu Donnerstag ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen worden. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.

In der Großstadt Charkiw schlugen demnach zwei Raketen in ein Verwaltungsgebäude ein. Dabei soll auch die Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale nicht näher beschriebene Schäden erlitten haben. Über Verletzte war zunächst nichts bekannt.

Strategisch wichtige Stadt nahe der Krim 

Das russische Militär hatte bereits zuvor bekannt gegeben, die volle Kontrolle über die Stadt erlangt zu haben. “Russische Einheiten der Streitkräfte haben das Zentrum der Region Cherson vollständig unter ihre Kontrolle gebracht”, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Die ukrainische Seite meldete zunächst, die Stadt sei umzingelt, der Hafen und der Bahnhof seien von russischen Truppen eingenommen worden. 

Cherson liegt unweit der 2014 von Russland annektierten Krim-Halbinsel. Auch die Hafenstadt Berdjansk wurde bereits von russischen Truppen erobert. Cherson gilt unter Experten als strategisch wichtige Stadt im Ukrainekrieg, da sie die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit dem Festland verbindet.

Rund 300.000 Einwohner leben in Cherson. Die Stadt besitzt Häfen, Werften, einen Flughafen und eine gute Eisenbahnverbindung auch nach Moskau oder die ebenfalls stark umkämpfte ukrainische Stadt Charkiw. 

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Scroll to Top