EU garantiert Sozialhilfe und Zugang zum Arbeitsmarkt

Wer Asyl in Deutschland beantragt, muss Monate und Monate auf eine Entscheidung warten. Geflüchteten aus der Ukraine wird das erspart bleiben. Die EU hat eine historische Entscheidung gefällt. 

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Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine könnten schon in den nächsten Tagen ein einjähriges Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union bekommen. Die EU-Staaten einigten sich am Donnerstag darauf, die Flüchtenden schnell und unkompliziert aufzunehmen. “Das ist ein historischer Moment”, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine haben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) mehr als eine Million Menschen das Land verlassen. “Und es werden Millionen mehr”, sagte Johansson nach einem Treffen der EU-Innenminister in Brüssel. Allein in Polen haben mehr als 500.000 Menschen Zuflucht gesucht.

“Was auf uns zukommt, wird enorm” 

Die Bundespolizei meldete am Abend etwa 7.500 Ukrainer, die seit dem 24. Februar nach Deutschland eingereist seien. Tatsächlich dürften aber bereits deutlich mehr Geflüchtete angekommen sein. Viele von ihnen reisen direkt zu Verwandten und Freunden – ohne sich bei den Behörden zu melden. Im Fokus steht unter anderem Berlin. Allein am Mittwoch seien fünf Züge aus Warschau mit insgesamt 3.000 bis 4.000 Menschen gekommen, sagte Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke). “Heute sind es noch einmal deutlich mehr, die insgesamt kommen.” Kipping betonte: “Das, was auf uns zukommt, wird enorm.”

Ukrainer mit biometrischem Reisepass dürfen sich ohne Visum 90 Tage lang frei in der EU bewegen. Man müsse jedoch auf den 91. Tag vorbereitet sein, sagte Johansson zuletzt. Deshalb schlug die EU-Kommission vor, erstmals die Richtlinie für den “massenhaften Zustrom” Vertriebener zu nutzen. Die EU-Staaten stimmten nun einstimmig zu. Die Regeln dürften in den kommenden Tagen in Kraft treten.

Sonderregelung aus dem Jugoslawoen-Krieg 

Die Richtlinie war infolge der Kriege der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien geschaffen worden und soll auch eine Überlastung der Asylbehörden verhindern. Den Schutzsuchenden werden überall in der EU bestimmte Rechte eingeräumt, etwa der Zugang zu Sozialhilfe sowie eine Arbeitserlaubnis.

Die gemeinsame Migrations- und Asylpolitik ist normalerweise kein Feld, in dem sich die EU-Staaten auf einer Linie zeigen. Seit Jahren streiten sie erbittert insbesondere über die Verteilung Schutzsuchender. Heftiger Widerstand gegen eine verpflichtende Verteilung kommt vor allem von Staaten wie Polen und Ungarn, die nun besonders von der Fluchtbewegung aus der Ukraine betroffen sind.

Plötzlich rückt die EU zusammen wie nie

Plötzlich rückt die EU zusammen, wie auch bei den harten Sanktionen gegen Russland. Alle Länder seien bereit, die Geflüchteten aufzunehmen, sagte Faeser. Dies sei “ein bisschen ein Paradigmenwechsel”. Und sie fügte hinzu: “Ich hoffe, dass diese Humanität auch beibehalten wird.”

Ein Schlüssel für die Verteilung der Schutzsuchenden aus der Ukraine ist nach Faesers Worten derzeit nicht nötig. “Viele der Geflüchteten gehen zu Freunden und Angehörigen in anderen Ländern”, sagte die SPD-Politikerin. Sie verwies auf große Gruppen ukrainischer Staatsangehöriger etwa in Spanien und Italien.

Bislang haben die Nachbarländer der Ukraine noch nicht einmal um Unterstützung bei der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge gebeten. Die große Mehrheit der ukrainischen Flüchtlinge will laut UNHCR-Sprecher Chris Melzer in Nachbarländern wie Polen bleiben. Aus der Ukraine fliehen hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Regierung in Kiew hat ukrainischen Männern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren die Ausreise untersagt, sie unterliegen der Wehrpflicht.

Der Andrang an den polnischen Grenzübergängen sei aktuell geringer als in den vergangenen Tagen, sagte Melzer. Da viele Menschen bei Verwandten, Freunden, in angemieteten Wohnungen oder bei hilfsbereiten Polen privat unterkämen, seien Sporthallen und Jugendherbergen noch nicht voll. Sollten sich die russischen Angriffe auch auf den Westen der Ukraine ausdehnen, dürften jedoch noch viel mehr Menschen fliehen.

Streitpunkt: Für wen soll die Ausnahmeregelung genau gelten? 

Komplette Eintracht bestand bei den Innenministern in Brüssel dann allerdings doch nicht. Streitpunkt war vor allem die Frage, ob der temporäre Schutz für alle Menschen aus der Ukraine gelten soll, also auch für jene ohne ukrainischen Pass. Österreichs Innenminister Gerhard Karner verwies auf Vorbehalte bei seinem Land und anderen Staaten wie Polen, der Slowakei und Ungarn. Nach einer Sitzung der EU-Botschafter waren die letzten Unstimmigkeiten schließlich ausgeräumt und die Entscheidung der EU-Staaten fiel einstimmig.

Drittstaatler mit Aufenthaltsstatus in der Ukraine sollten genau so behandelt werden wie ukrainische Staatsangehörige, erklärte Faeser nach dem Treffen. “Im Grunde übernimmt man das Recht, das alle Menschen in der Ukraine hatten.” Deutschland regele jetzt schnellstens die praktische Umsetzung. “Damit stellen wir auch sicher, dass Krankenversicherungsschutz und der Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bestehen wird.”

Nach langer Blockade beim Thema Migration hat die EU nun zügig gehandelt. Das könnte sich womöglich positiv auf die seit Jahren blockierten Verhandlungen der Asyl- und Migrationsreform auswirken. “Ich hoffe, dass es auch ein Auftakt dafür ist, dass wir künftig auch in der EU in diesen Fragen grundsätzlich enger zusammenarbeiten”, sagte Innenministerin Faeser.

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