Haben die Verbote wirklich ihr Ziel erreicht?

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

zwei Jahre nach Beginn der Pandemie stellt sich eine folgenschwere Frage: Ist der harte Kurs im Umgang mit dem Virus falsch? Haben all die Verbote und Vorschriften, die das Leben von Millionen Menschen einschränken, wirklich ihr Ziel erreicht? Braucht es sie jetzt noch? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich treffe auf immer mehr Leute, die das Vertrauen in das politische Krisenmanagement verloren haben. Die Inzidenzzahl geht durch die Decke, Virologen und der Bundes-Karl warnen immer noch von morgens bis abends – aber auf den Intensivstationen herrscht keine Notlage mehr, Omikron ist offenkundig weniger schlimm als seine Vorgänger, und wer sich alle Impfungen reingepfiffen hat, ist ziemlich sicher vor schwerer Krankheit geschützt.

Die Rufe nach Lockerungen werden deshalb lauter. Daniel Günther oben in Schleswig-Holstein prescht vor und hebt die 2G-Regel im Einzelhandel auf. Markus Söder unten in Bayern beeilt sich, auf den Lockerungszug aufzuspringen. Und dann platzt auch noch eine brisante Studie in die Diskussion: Demnach hat der harte Lockdown während der ersten Corona-Welle in den USA und Europa kaum Leben gerettet. Geschlossene Schulen, Grenzen, Geschäfte und verbotene Veranstaltungen hatten also keinen spürbaren Effekt auf die Sterberate. Geholfen hätten hingegen vor allem die Masken – allein die hätten die Zahl der möglichen Toten um 24 Prozent reduziert. Jedoch habe der Lockdown der Wirtschaft geschadet, Kindern Bildung geraubt, die Arbeitslosigkeit erhöht, zu häuslicher Gewalt beigetragen und gesellschaftliche Konflikte geschürt.

Keine Frage: Die restriktiven Regeln zu Beginn der Seuche waren angesichts der damals geringen Kenntnisse über das Virus ebenso richtig wie die Disziplin der meisten Bürger. Seither hat es die deutsche Politik aber nicht geschafft, das Land auf einem klugen Kurs zu halten, ihre Entscheidungen konsequent durchzusetzen und verständlich zu kommunizieren.

Beispiel PCR-Tests: Frankreich wertet bis zu vier Millionen Stück pro Woche aus, Deutschlands Labors sind schon bei der Hälfte am Anschlag. Allein die Stadt Wien führt jede Woche mehr Tests durch als ganz Deutschland. Es fehle an Geräten und an Labors, jammern die Gesundheitsbehörden. Meine Güte, hätte man das nicht schon vor einem Jahr sehen und ändern können?

Beispiel allgemeine Impfpflicht: Weil viele FDPler ausscheren, haben die Regierungsparteien im Bundestag keine Mehrheit, also lavieren Olaf Scholz und seine Leute herum und ziehen das Projekt in die Länge. Der neue CDU-Chef Friedrich Merz signalisiert, dass er der Ampel die Mehrheit im Parlament nicht zu sichern gedenkt. Das Projekt droht zu scheitern. Ein Impfregister aufzubauen, traut sich eh niemand.

Beispiel einrichtungsbezogene Impfpflicht: Weil Gesundheitsämter klagen, sie könnten die Einhaltung nicht kontrollieren, rudert Lauterbachs Ministerium zurück: Ungeimpfte in Kliniken und Seniorenheimen können auch nach dem 16. März vorerst weiterarbeiten – na ja, oder jedenfalls, wenn es gar nicht anders geht, oder nein, vielleicht doch lieber nicht, oder wie oder was?

Beispiel Impfkampagne: 80 Prozent der Bevölkerung sollten bis Ende Januar geimpft sein, so hatte es sich die Ampelregierung vorgenommen. Davon sind wir weit entfernt. Derzeit bekommen pro Tag gut 200.000 Menschen die Spritze. Es müssten mindestens 800.000 sein. Unter Druck hat das Kanzleramt hastig eine neue Werbekampagne mit lieblosen Plakaten entworfen. Damit setzt Olaf Scholz die erfolglose Kommunikation seiner Vorgängerin fort: Unter deren Ägide hatte die Regierung im vergangenen Jahr fast 290 Millionen Euro in Aufklärungskampagnen über Corona und Impfen gesteckt – jedoch überwiegend in Zeitungen und im Fernsehen. Ins Internet flossen gerade einmal vier Millionen, dabei liegt genau dort das Problem: Auf Facebook, Telegram und Twitter werden all die Lügen über angebliche Impfschäden verbreitet. Warum gibt es im Bundespresseamt nicht längst eine gut ausgestattete Abteilung, die diese Gerüchte mit Fakten kontert?

Was bleibt unterm Strich? Wir haben hierzulande kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Die deutsche Verwaltung ist zum Teil organisatorisch blockiert. Das muss sich ändern, wenn wir nicht nur Corona, sondern auch Herausforderungen wie die Energiewende, das Artensterben und die Klima-Migration bewältigen wollen.

Apropos: Über die Corona-Lage und zwei weitere Themen haben wir gestern Abend bei Sandra Maischberger diskutiert. Hier finden Sie die Sendung.

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Deutschland wird in Afrika verteidigt

Bundeswehrsoldaten in Mali. (Quelle: imago images)

Beginnen wir das nächste Thema mit einem Ratespiel. Deutschland, Frankreich, Dänemark, Mali: Welches Land gehört hier nicht dazu? Nein, es ist Dänemark! Eigentlich verbindet diese Staaten, dass sie gemeinsam am Südrand der Sahara Jagd auf Terroristen machen. Doch auf die Dänen wartete bei ihrem jüngsten Einsatz eine unangenehme Überraschung: Ihre Spezialeinheit wurde nach der Ankunft in Mali gleich wieder vor die Tür gesetzt. Die Krieger aus dem Norden seien nicht eingeladen gewesen, richtete die malische Regierung ihnen schmallippig aus.

Es trifft nicht nur die Dänen. Auch der französische Botschafter muss das Land verlassen. Und einer deutschen Militärmaschine mit 75 Soldaten an Bord hat die Regierung die Überflugerlaubnis versagt. Zwischen den Europäern und den Generälen, die das westafrikanische Land regieren, fliegen die Fetzen. Eigentlich wollte man gemeinsam gegen islamistische Terroristen und den Schmuggel von Menschen, Drogen, Waffen kämpfen. Es ist gegenwärtig der gefährlichste Einsatz der Vereinten Nationen und der größte für die Bundeswehr. Doch nun steht die Mission vor dem Kollaps.

(Quelle: t-online)

Dabei hätte aus dem Einsatz die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft werden können. Vor neun Jahren retteten westliche Truppen unter der Führung Frankreichs die malische Armee davor, von islamistischen Kämpfern überrannt zu werden. Mit allen Mitteln wollten die Europäer verhindern, dass Mali sich in eine Brutstätte des Terrorismus’ verwandelt und die labilen Staaten in der Nachbarschaft mit sich reißt. Außerdem könnte das Chaos immer mehr Menschen zur Flucht nach Europa treiben. Mali durfte deshalb nicht scheitern. Von Anfang an war klar: Ein Kurzbesuch wird der Militäreinsatz nicht.

Für Malis Regierende war das Arrangement bequem. Mit den Kämpfen fernab der Hauptstadt durfte sich von nun an eine internationale Koalition herumschlagen. In den abgelegenen Regionen gibt es bis heute nichts, was an staatliche Strukturen erinnert. Sicherheit herrscht nur dort, wo Soldaten ihre Camps aufschlagen, und sie endet, sobald sie weiterziehen. Kriminelle Banden rauben und töten. Menschen verschiedener Bevölkerungsgruppen gehen im Kampf um Wasser und Land aufeinander los. Dschihadisten brennen ganze Ortschaften nieder, profitieren aber zugleich vom Zulauf, den die Anarchie ihnen verschafft. Denn wo das Recht des Stärkeren regiert, lockt die mörderischste Mannschaft mit der Aussicht auf den besten Schutz.

Welten liegen zwischen diesen Landstrichen und der Hauptstadt Bamako. Dort verjubelt die Regierung seit jeher den Löwenanteil ihres Budgets, und auch sonst geht es hoch her. Unter dem Applaus großer Menschenmengen hat sich eine Militärjunta an die Macht geputscht. Die zofft sich seither immer heftiger mit der Regierung in Paris, die ihrerseits den Druck verstärkt und ihre Truppen reduzieren will. Ökonomisch ist Mali nun weitgehend isoliert. Also hat die Junta klammheimlich russische Söldner ins Land geholt. Die Generäle wissen: Das tut weh. Mali ist von entscheidender strategischer Bedeutung für die Europäer, deshalb sind sie ja da. Und auf einmal hat Putin einen Fuß in der Tür.

Aus der Mission zur Stabilisierung Malis ist ein Stellvertreterkrieg geworden. Die Terrorgruppen erstarken. Putins Söldner nisten sich an einer Schlüsselstelle für Waffenschieber, Menschenhändler und Schmuggler ein. Eigentlich kann man da nur noch die Hände in die Luft werfen und rufen: Okay, das war’s, wir schmeißen hin! Aber die schlechte Bilanz zeigt eben auch, warum genau das nicht geht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Jedes einzelne der Probleme Malis würde uns Europäern schmerzhaft auf die Füße fallen, falls wir irgendwann keine Lust mehr auf den Schlamassel haben. Zugleich muss man die Erwartungen an eine erfolgreiche Mission im Zaum halten.

Terrorursachen zu bekämpfen, heißt in der Krisenregion des Sahel: in mühsamer Kleinarbeit Dispute zwischen Nomaden und sesshaften Bauern schlichten. Gesundheitsstationen errichten, Gerichtsbarkeit schaffen. Die Menschen in den Dörfern vor brutalen Banden schützen. Das alles mit einer feindlich gesinnten Militärjunta im Rücken, die aus der Misere vor allem ihren eigenen Nutzen ziehen will. Von Jobs und einem bescheidenen Wohlstand wollen wir gar nicht erst anfangen.

Wer eine solche Aufgabe angeht, braucht drei Dinge. Erstens: Tatkraft. Es genügt nicht, Einsätze zu “absolvieren” und ihre Fortführung lediglich zu verwalten. Das ist schon in Afghanistan schiefgegangen. Ohne Initiative, Kreativität und Engagement geht es nicht voran. Zweitens: Der Fokus gehört auf die Zivilgesellschaft. Konflikte wie im Sahel können auf militärischem Wege verloren, aber nicht gewonnen werden. Die Präsenz der Soldaten erkauft bloß die Zeit, bis wenigstens die elementarsten Voraussetzungen für ein würdiges Leben geschaffen werden können. Drittens: Klarheit über den Zeithorizont. Machen wir uns nichts vor, es ist eine Aufgabe für Jahrzehnte. Das klingt abschreckend – aber nur, solange man die Alternativen nicht bedenkt. Die Gefahren des internationalen Terrorismus halten uns ebenfalls schon jahrzehntelang in Atem, die Herausforderungen der Migration werden es noch ebenso lange tun.

Wir sollten uns an diese drei Leitlinien erinnern, wenn im Mai die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Mali ansteht. Außenministerin Annalena Baerbock hat sie jedenfalls noch nicht verinnerlicht und denkt laut über das Ende der deutschen Mission nach. Man kann nur hoffen, dass Monsieur Macron, der ebenfalls über den Abzug seiner Soldaten sinniert, sie gründlicher beherzigt.

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Meister des Wortes

Das Schriftsteller-Ehepaar Paul Auster und Siri Hustvedt lebt in Brooklyn. (Quelle: imago images)

Was geschieht mit einem Mann, der seine Frau und seine Kinder bei einem Flugzeugabsturz verliert? Warum verfällt er der fixen Idee, alle Filme eines vermissten Schauspielers anschauen zu müssen – und was geschieht, wenn er plötzlich der Witwe des Schauspielers gegenübersteht? Paul Auster erzählt diese Geschichte im “Buch der Illusionen”, seinem vielleicht besten Roman, wenn Sie mir dieses Urteil gestatten. Heute begeht der New Yorker Schriftsteller seinen 75. Geburtstag, und es ist mir ein Anliegen, ihm aus der Ferne einen herzlichen Glückwunsch zuzurufen, selbst wenn er ihn nicht hört. Vermutlich sitzt er am Schreibtisch. “Es ist das härteste, was ich mir vorstellen kann”, hat er über das Schreiben gesagt. “Aber ich bin noch gut dabei, ich kann den Kampf noch eine Weile aufnehmen.” Please do so, Paul!

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Was lesen?

Manuela Schwesig steht wegen ihrer Russland-Politik in der Kritik. (Quelle: Emmanuele Contini/imago images)

Manuela Schwesig, Gerhard Schröder, eine dubiose Stiftung und die Gasleitung Nord Stream 2: Die Recherchen meines Kollegen Jonas Mueller-Töwe haben Wellen geschlagen. Jetzt legt er nach.

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Ist Omikron die letzte Virusvariante auf dem Weg in die Endemie – oder kommt da noch mehr? Ein Blick ins Abwasser kann helfen, berichtet meine Kollegin Christiane Braunsdorf.

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(Quelle: United_Archives/TopFoto/dpa)

Ein tragisches Unglück ließ 1959 Musikfans in aller Welt trauern. Was damals geschah, lesen Sie auf unserem Historischen Bild. 

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Was amüsiert mich?

Corona, Ukraine, Energiepolitik: Was macht eigentlich der Olaf?

(Quelle: t-online/Mario Lars)

Ich wünsche Ihnen einen beherzten Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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