“Krieg wird gewonnen. Die Frage ist, zu welchem Preis”

Die Ukrainer Victoria Pidust und Volo Bevza leben als Künstler in Berlin. Am 24. Februar wollten sie eigentlich eine Kunstausstellung in Kiew eröffnen – dann kam der Krieg. Jetzt verteidigen sie ihr Heimatland.

t-online: Victoria, Volo, euer Leben hat sich über Nacht radikal verändert. Ihr seid als Künstler in die Ukraine gereist, nun seid ihr Widerstandskämpfer.

Volo: Schon als wir entschieden haben, am 20. Februar nach Kiew zu reisen, wurden Ausländer gewarnt, dass sie die Ukraine verlassen sollten. Auch die Botschaften in Kiew wurden evakuiert. Dass wir trotzdem geflogen sind, das allein war auch schon eine Form von Widerstand. Gegen die von Putin ausgelöste Panik. Putin will die Ukraine lahmlegen. Genau das wollte ich mit meiner Ausstellung verhindern, auch wenn es nur ein kleines Zeichen gewesen wäre.

Victoria: Es ist gut, dass wir hier sind. Hier können wir wenigstens helfen. In Berlin könnten wir nur auf Demos gehen.

Künstlerpaar Victoria und Volo: “Es ist gut, dass wir hier sind.” (Quelle: Victoria Pidust)

Victoria Pidust, 29, stammt aus Nikopol in der Ukraine. Sie studiert an der Kunsthochschule Weißensee Berlin. Volo Bevza, 28, stammt aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Er lebt und arbeitet als Künstler in Berlin.

Wie habt ihr den Kriegsausbruch erlebt?

Victoria: Mein Bruder hat uns angerufen und gesagt: “Jetzt fängt es an.”

Volo: Er wurde von einem Bombenangriff geweckt.

Victoria: Seine Fensterscheiben haben vibriert.

Volo: Nach seinem Anruf entschieden wir, zu meiner Familie zu fahren, nicht weit weg von Kiew. Aber auf dem Weg dorthin rief uns mein Vater an, dass er Covid hat. Wir mussten umkehren. Die Pandemie macht die Lage nicht einfacher. Jetzt sind wir in Lemberg, bei einem Freund meines Vaters. Er ist auch Künstler.

Victoria: Mehrmals am Tag warnen Sirenen vor Luftangriffen. Dann rennen wir in den Keller. Zum Glück waren es bisher alles nur Fehlalarme.

Wie fühlt sich das an, Krieg?

Victoria: Fürchterlich, obwohl wir uns eigentlich schon seit Wochen darauf vorbereitet haben. In unseren Familien war immer Thema, was passiert, wenn der Krieg ausbricht. Aber eigentlich wollte nie jemand so richtig darüber reden.

Volo: Ja, es ist komisch, seit Dezember gab es Warnungen der Amerikaner vor der russischen Invasion, nur wollten wir sie einfach wahrhaben.

Victoria: Wenn es dann passiert, ist es einfach nur schrecklich.

Volo: Das Schlimmste ist allerdings der psychische Druck. Wir sind in Telegram-Gruppen, in denen über die neuesten Entwicklungen des Kriegs informiert wird. Jede Minute kommt eine neue Nachricht über neue Angriffe. Wenn man mal eine Stunde nicht am Handy ist, erschlagen einen gleich 150 verpasste Meldungen. Und es sind Schreckensmeldungen.

Victoria: Eine dieser Gruppen heißt auf Deutsch “normale Nachrichten”. Es ist schon absurd, wenn in dieser Gruppe dann ein neuer Raketenangriff auf Kiew vermeldet wird. Weil sich das gar nicht normal anfühlt, sondern wie im Albtraum.

Habt ihr versucht, die Ukraine zu verlassen?

Victoria: Unser erster Gedanke war: Erst mal müssen wir uns in Sicherheit begeben. Als wir dann hier in Lemberg angekommen sind, gab es jede Menge Möglichkeiten für uns zu helfen. Dann dachten wir, wir bleiben hier, bis unsere Familien aus Kiew kommen.

Volo: Wir haben unseren Verwandten gleich am vergangenen Donnerstag angeboten, Tickets für sie nach Deutschland zu buchen, um mit uns auszureisen. Aber sie haben Nein gesagt. Wir haben dann für uns selbst Tickets für Samstag gebucht, obwohl es auch schon welche für Donnerstag gab, weil wir zuerst unsere Familie unterstützen wollten. Wir dachten, wenn denen nichts passiert, dann können wir fahren. Nun darf ich nicht mehr ausreisen. Wie alle Ukrainer über 18. Ich bin wehrpflichtig.

Künstler Volo Bevza: “Das Schlimmste ist der psychische Druck.” (Quelle: Victoria Pidust)

Dass du in der Ukraine bleiben musst, bedeutet ja, dass du eventuell kämpfen musst. Wie bereitetest du dich darauf vor?

Volo: Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Weil es aktuell konkretere Dinge gibt, mit denen ich mich beschäftige. Im Moment arbeite ich in einer Werkstatt, es war die drittgrößte Bronzewerkstatt in der Sowjetunion. Hier arbeiten Künstler, Schweißer und Ingenieure zusammen und schweißen Straßenblockaden. Die ersten drei Tage war ich im Schock. Da war es richtig gut, dass ich etwas Handwerkliches machen konnte.

Von ukrainischen Widerständlern angefertigte Stahlspinnen zum Schutz vor russischen Panzern. (Quelle: Victoria Pidust)

Ihr seid zu jung, um den Fall der Sowjetunion erlebt zu haben. Empfindet ihr dennoch eine engere Bindung zu Russland als zu anderen Ländern?

Volo: Ich trenne den Staat Russland, das politische System, von der Tatsache, dass es Russen gibt, die unsere Freunde und damit auf der Seite der Ukrainer sind. Das Land allerdings ist für mich ein Terrorregime.

Victoria: Die Ukraine ist ein eigenständiges Land, mit eigener Kultur und Sprache. Russen verstehen Ukrainisch nicht mal.

Volo: Es gibt keine spezielle Beziehung zu Russland. Italiener, Franzosen oder Deutsche sind genauso unsere Brüder. Ich finde nicht, dass die Russen uns wegen ihrer Kultur oder Sprache näher sind als die Deutschen. Lemberg hier sieht genauso aus wie eine kleine Stadt in Österreich. Wie Linz finde ich.

Victoria: Die Gemeinsamkeiten mit Europa sind größer als mit Russland.

Dennoch tut sich die EU mit dem Beitritt der Ukraine schwer.

Volo: Es gibt natürlich praktische Hindernisse, wie Reformen, die Bekämpfung der Korruption etwa, aber die werden seit dem Assoziierungsabkommen umgesetzt. Der einzige Grund ist die europäische Angst vor Putin. Aber der stellen sich die Europäer gerade.

Putin fürchtet die Westorientierung und Freiheitsbewegung in der Ukraine und versucht, diese Entwicklung in seinem Land einzudämmen, weil sie ihn seine Macht kosten könnte. Sind die Ukrainer ein Vorbild für die russische Bevölkerung?

Victoria: Es gibt auch in Russland viele, die auf der Seite der Ukraine stehen. Doch wer das öffentlich tut, landet im Gefängnis. Es gibt viele Russen, die die Regierung kritisch sehen. Die wissen aber nicht, was sie tun sollen.

Volo: Als Erstes muss man die Informationsmauer durchbrechen und dafür sorgen, dass wahre Informationen zur Bevölkerung in Russland gelangen. Das russische Regime versucht, alles zu verhindern, was die russische Bevölkerung richtig informieren könnte. Es behauptet, Amerika führe einen Krieg in Russland. Die Mütter von russischen Soldaten wissen nicht mal, wo ihre Kinder sind. Es gibt da eigentlich eine ukrainische Informationswebseite für russische Mütter mit dem Namen “Komm lebendig zurück”, aber die blockieren die Russen selbst.

Was ist mit den russischen Soldaten? Stehen sie hinter diesem Krieg?

Volo: Es gibt einen inzwischen sehr bekannten Fall eines russischen Soldaten, der im Kampf ums Leben kam und dessen Handy gefunden wurde. Seine Mutter hatte ihm geschrieben: Wo bist du? Er schrieb, er sei in der Ukraine und müsse auf Zivilisten schießen. Dann schrieb er weiter: “Ich muss auf Zivilisten schießen, Mama. Ich muss Ukrainer töten. Ich will mich am liebsten erhängen.”

Victoria: Die Mutter schrieb zurück: “Das kann nicht sein.” Dann wurde er erschossen.

Volo: Andere Russen schossen aber auf Kindergärten, auf Krankenhäuser. Es wurden Sanitäter erschossen, die auf dem Weg waren, verletzten Menschen zu helfen. Es wurden Familien ermordet.

Victoria: Ich denke, die russischen Soldaten werden auch nicht davor zurückschrecken, in Häuser zu gehen und Zivilisten zu erschießen. Kiew haben sie bereits von vielen Seiten blockiert, die Leute aus einigen Stadtteilen können nicht mehr entkommen.

Doch die Ukraine ist weiterhin großer Hoffnung, den Krieg zu gewinnen.

Volo: Der Krieg wird gewonnen. Ukrainer und Europäer gemeinsam werden den Krieg gewinnen. Die Frage ist, zu welchem Preis.

Victoria: Wie viele Städte zerbombt werden, wie viele Menschenleben ausgelöscht, darum geht es jetzt.

Victoria, Volo, ich danke euch für dieses Gespräch.

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